
Ora Hazak
Pflanzen blühen, gedeihen und tragen Früchte, weil sich die Zellen in ihrem Innern über fein austarierte Signale verständigen. Die Pflanzenbiologin Ora Hazak entschlüsselt diese molekulare Sprache, um Nutzpflanzen in Zeiten des Klimawandels widerstandsfähiger und ertragreicher zu machen.
Unter der Erde führen Pflanzen ein verborgenes Leben. Die Spitzen der Wurzeln bewegen sich durch den Untergrund wie Prospektoren auf der Suche nach wertvollen Rohstoffen. Sie nehmen lebensnotwendiges Wasser, Stickstoff oder Phosphat wahr und „entscheiden“, ob es sich lohnt in eine Richtung weiterzuwachsen oder anderswo weitersuchen. Das verzweigte Wurzelsystem schickt Wasser und Nährstoffe an den oberirdischen Teil der Pflanze – sowie eine Vielzahl an Signalmolekülen.
„So werden die Blätter gewarnt, wenn ein Mangel an Wasser oder Phosphat im Boden besteht, damit sie ihr Wachstum anpassen“, erklärt Professorin Ora Hazak, die am Institut für Biologie und Biotechnologie der Pflanzen der Universität Münster die molekularen Grundlagen dieser Kommunikation erforscht.
Man kann Ora Hazak als eine Signaldeuterin verstehen. Die Biologin will die Signalsprache in Pflanzenwurzeln entschlüsseln. Das macht sie mit Hilfe innovativer Mikroskopie, Genetik und physiologischen Experimenten, mit denen sich zum Beispiel das Wurzelwachstum messen lässt. Vor allem interessiert sie sich für Tomatenpflanzen, die weltweit zu den wichtigsten Nutzpflanzen zählen; und zunehmend auch für Kartoffeln, die der Tomate genetisch sehr ähneln. „Zwischen den Blättern und der Wurzel existiert eine ständige Kommunikation, die für das Wohlergehen der Pflanze entscheidend ist“, sagt Hazak. Auch die Blätter schicken molekulare Signale zu den Wurzeln, nebst Zucker, Hormonen und Aminosäuren, die ihr Wachstum fördern.
Die Basis dieser Kommunikation sind kleine Peptide. Bestimmte Gene in den Zellen von Pflanzen enthalten Baupläne für diese Moleküle, die aus kurzen Aminosäureketten bestehen. Diese Signalpeptide bewegen sich von Zelle zu Zelle und teils über weite Strecken durch die Pflanze, um zu Zielzellen zu gelangen. Die Zellen „erkennen“ sie über Rezeptoren an ihrer Oberfläche und leiten daraufhin bestimmte Aktivitäten im Zellinneren ein, die zum Beispiel das Wachstum der Früchte begünstigen.
2002 hat Hazak mit ihrem Team das komplette Repertoire an Genen identifiziert, die in Tomatenpflanzen den Bauplan für solche Signalpeptide enthalten. Bisher kennen Forschende die Funktion von den wenigsten dieser Signalpeptide. Hazak fand kürzlich jedoch heraus, welches Signalpeptid für die Bildung und das Wachstum des Phloems – der lebenswichtigen Nährstoffleitbahn in Pflanzen – entscheidend ist.
„Wenn man die grundlegenden Mechanismen der Signale begreift, kann man Nutzpflanzen für die Landwirtschaft optimieren“, sagt Hazak. Versteht man zum Beispiel die molekulare Sprache, mit deren Hilfe Wasser und Nährstoffe von den Wurzeln zu Blättern und Früchten geleitet werden kann, könnte man diesen Prozess optimieren und einen besseren Ertrag erzeugen. Und wenn man weiß, welche Signale den Prozess der Transpiration der Blätter steuern, bei dem die Blätter Wasser abgeben während sie CO2 für die Photosynthese gewinnen, ließe sich der erhebliche Wasserverlust von Tomatenpflanzen eindämmen. „Dann könnten wir Tomatenpflanzen besser an Trockenheit anpassen und den Anbau in hydroponischen Systemen effizienter machen“, sagt Hazak. Gerade in Zeiten der Klimakrise sind das wichtige Herausforderungen.
Wir hoffen darauf, bahnbrechende Innovationen zu entwickeln, die Pflanzen widerstandsfähiger, ertragreicher oder wüchsiger machen und neue Mechanismen zu entdecken, mit denen sich Pflanzen an die Umwelt anpassen und ihr Wachstum steuern.
Pflanzen sind für Ora Hazak immer ein Mysterium gewesen, das sie herausgefordert hat. Schon in der Datscha ihrer Großmutter im russischen Ulan-Ude bewunderte sie die wunderschönen Tigerlilien und spätblühenden Astern. In der Schulzeit in Kamensk-Uralsky schrieb sie sich als 14-Jährige in einen Biologie-Fernkurs ein. An Sonntagen kämpfte sie sich bei minus 25 Grad Celsius durch den Schnee, um zur öffentlichen Bibliothek zu gelangen und all die Fragen zu beantworten, die alle zwei, drei Monate in einem dicken Umschlag von der Universität Moskau kamen. „Dort gab es Bücher über Pflanzen, die man nicht ausleihen durfte“, erinnert sie sich. Sie tauchte ab in Fragen der Pflanzengenetik – RNA, DNA, Stammzellen – und startete ihre ersten eigenen Kreuzungs-Experimente. „Ich habe Garten-Balsaminen mit verschiedenen Farben gekreuzt. Das Ergebnis war eine mit Tigermuster und gesprenkeltem Stiel – ich fand sie sehr schön.“
Der Weg in die Pflanzenforschung war vorgezeichnet. Ihre jüdischen Wurzeln ermöglichten ihr ein Biologie-Studium an der Universität Tel Aviv, die für molekulare Pflanzenforschung bekannt ist. Nach Stationen in Lausanne und Fribourg ist sie seit Januar 2025 in Münster. In ihrem neu aufgebauten Labor will sie die molekulare Signalsprache noch besser verstehen. Unter anderem möchte sie herausfinden, welche Signalpeptide aktiv werden, wenn Tomatenpflanzen Stress ausgesetzt werden, etwa wenn sie zu wenig Eisen bekommen oder aufgrund von fehlendem Wasser osmotischen Stress erleben, was in Dürrezeiten passieren kann. Dafür baut ihr Team die Pflanzen in hydroponischen Systemen mit Nährstofflösungen an und verändert ihre DNA. Zudem erforscht sie Signalmoleküle des Zuckertransports in Tomaten und Kartoffeln. „Wir hoffen darauf, bahnbrechende Innovationen zu entwickeln, die Pflanzen widerstandsfähiger, ertragreicher oder wüchsiger machen“, sagt Hazak. „Und wir hoffen neue Mechanismen zu entdecken, mit denen sich Pflanzen an die Umwelt anpassen und ihr Wachstum steuern.“
Zwar ist der Anbau genetisch modifizierter Pflanzen in der Europäischen Union weitgehend verboten. Eine Alternative ist jedoch, Peptide künstlich herzustellen, die in der Pflanze dafür sorgen, dass Zellen gewünschte Aktivitäten ausführen. „Man kann zum Beispiel Samen mit Peptiden beschichten“, sagt Hazak. „Und wenn die Pflanze dann keimt, erhält sie einen Wachstumsschub oder einen besseren Schutz gegen Wasserverlust.“
Wir können als Forschende keine Kriege beenden, aber wir können den Blick von den Konflikten in der Welt darauf richten, dass wir enger zusammenarbeiten und gemeinsam etwas Positives erschaffen.
Auch mit der Genschere CRIPR/Cas genetisch veränderte Pflanzen sieht sie als Teil einer resilienten Zukunft der Landwirtschaft, in der Menschen weniger Hunger leiden müssen. „Viele Menschen stehen dem skeptisch gegenüber, aber in der Natur geschehen ständig zufällige Mutationen, etwa durch UV-Strahlung – im Labor können wir diesen Prozess enorm beschleunigen und gezielt steuern“, sagt sie. „Ich hoffe, dass der Gesetzgeber in naher Zukunft das Potenzial erkennt, das diese Technologie zur Bewältigung dringender Herausforderungen in der Landwirtschaft hat.“
Ora Hazak versteht ihre neue Arbeitsgruppe an der Universität Münster zudem als Inkubator für eine neue Generation von Wissenschaftler:innen auf dem Gebiet der Zellkommunikation in Pflanzen, die später einmal in Laboren auf der ganzen Welt wirken wird. Ihr ist es wichtig, dass ihre Mitarbeitenden durch eine erstklassige Ausbildung zu dem internationalen Netzwerk der Pflanzenforschung beitragen, von dem sie selbst profitiert hat und das sie in die Schweiz und jetzt nach Münster gebracht hat. Für die Forscherin ist das auch ein ganz persönliches Friedensprojekt: „Wir können als Forschende keine Kriege beenden, aber wir können den Blick von den Konflikten in der Welt darauf richten, dass wir enger zusammenarbeiten und gemeinsam etwas Positives erschaffen.“
Lesen Sie im Interview mit Ora Hazak über ihren Start in Münster, den Umgang mit Papierkram und warum sie einen Schritt-für-Schritt-Leitfaden zur Begrüßung internationaler Forscher:innen einführt.

Ora Hazak hat zum Januar 2025 die Maria-Sibylla-Merian-Professur an der Universität Münster übernommen, wo sie eine Arbeitsgruppe zur Kommunikation zwischen Pflanzenzellen leitet. Die Wübben Stiftung Wissenschaft hat ihre Berufung mit dem Programm „Appointment Accelerator“ gefördert. Das Programm beinhaltet zusätzliche Mittel für die Ausstattung der Professur sowie Onboarding-Maßnahmen. Zuvor leitete Hazak eine Forschungsgruppe zu Signalpeptiden in Pflanzen an der Universität Fribourg in der Schweiz. Sie hat in Lausanne als Postdoc geforscht und in Tel Aviv ihre Doktorarbeit verfasst. Hazak ist Mutter von vier Kindern.
Seit Januar 2025
Maria-Sibylla-Merian-Professur an der Universität Münster
2019 - 2024
Forschungsgruppenleiterin, Universität Fribourg, Schweiz
2016
Tel Aviv University Presidential Award for Women in Science
2015 - 2019
Postdoktorandin, Universität Lausanne, Schweiz
2014
Postdoktorandin, Tel Aviv University, Israel
2014
Ph.D. in Plant Molecular Biology, Tel Aviv University, Israel