#8 Nat Kendall-Taylor

Der Harvard-Psychologe Nat Kendall-Taylor spricht in seinem knapp-pointierten Vortrag, den er im Mai 2023 in Washington auf dem "Nobel Prize Summit" hielt, über unsere Denkhaltungen und die uns beherrschenden Vorurteile. Sein Ausgangspunkt ist die in westlichen Demokratien regelmäßig gestellte Frage nach dem Vertrauen, das die Bürgerinnen und Bürger der Wissenschaft entgegenbringen. Bei einem knapp über 50 Prozent liegenden Zustimmungswert gibt es hier eine wachsende Zahl von Menschen, die Wissenschaft als abhängig von der Politik, interessegeleitet und scheinrational, als Element des sozialen Establishments, als manipulativ und unseriös ansehen. Kendall-Taylor fragt sich, welche Haltungen hinter solchen Aussagen stehen und wie die Wissenschaft selbst ihnen erfolgreich begegnen kann.
Prägend für viele Menschen, gerade in der westlichen Welt, sei ein radikaler Individualismus, der wenig Raum lässt für eine differenzierte Einschätzung staatlicher, institutioneller oder rechtlicher Steuerungsnotwendigkeiten. Viele Wissenschaftler neigten dazu, mit ihren Ausführungen andere überzeugen zu wollen, und produzierten dabei intellektuelle Widerstände. Kendall-Taylor empfiehlt eine Reihe von argumentativen Strategien, die dieses Dilemma überwinden könnten. Es sollten wissenschaftliche Stereotype - Hinweise auf Mehrheitsmeinungen der Forschung und vermeintlich unerschütterliche Gewissheiten - vermieden werden. Wichtig sei die Kraft der Beispiele, die jede Argumentation anschaulich und zugleich stabiler mache. Jede These muss erklärt, jede Annahme durch konkrete Exempel illustriert werden. Niemals dürfe der wissenschaftliche Diskurs auf die Überwältigung des Anderen zielen. Unsere verfestigten Denkweisen neigten zu innerem Protest und Widerstand, wenn sie offen attackiert werden.
Kendall-Taylor wirbt in seinem unterhaltsamen Vortrag für die Schaffung von Vertrauen durch Anschaulichkeit. Er liefert damit einen wichtigen Kommunikationsauftrag für alle Wissenschaften unterschiedlicher disziplinärer Herkunft, der gerade in Krisenzeiten von besonderer Bedeutung ist. Wir werden auch in Zukunft vor ähnlich schwierigen Herausforderungen stehen, wie sie die Corona-Pandemie mit sich brachte. Ökologische und medizinische Krisen werden uns ins Haus stehen, und die Wissenschaft muss sich in ihnen als verlässliches System bewähren, das den Menschen zeigt, wie sie Probleme lösen können. Die Vorurteilsstrukturen in den Köpfen können nur aufgebrochen werden durch einen wissenschaftlichen Diskurs, der sich nicht elitär-selbstsicher gibt, sondern seine eigenen 'Mindsets' in Frage stellt, indem er jeweils neu bei der Überwindung von Grenzen, Widerständen und Antithesen ansetzt. Immer mehr Menschen werden der Wissenschaft vertrauen, wenn sie ihre erklärende Mission ernstnimmt und durch die Kraft ihrer intellektuellen Redlichkeit überzeugt.
Peter-André Alt
Datum 31.05.2023
Sprache Englisch
Länge 15 min
Titel, Reihe How to make mindsets matter, Nobel Prize Summit 2023
Video The Nobel Prize